Die Pforte der Einweihung
Die Pforte der Einweihung ist das erste von Rudolf Steiner verfasste Mysteriendrama. Die Uraufführung fand zu Mariä Himmelfahrt am 15. August 1910 im Schauspielhaus München statt.
Im August 2010 waren es also 100 Jahre, seit Rudolf Steiner diesen zukunftsweisenden künstlerischen Impuls für ein zeitgemäßes Mysterienwesen gegeben hat. Anlass genug für eine kleine, bunt gemischte Gemeinschaft engagierter Menschen, den Versuch zu unternehmen, Steiners erstes Drama rein aus der künstlerischen Formkraft des Textes, frisch und unbelastet von allzu spekulativer intellektueller Interpretation und bisherigen Aufführungstraditionen, in zeitgemäßer Sprache zu konkreten lebendigen Bildern zu verdichten, die unverstellt und hautnah geistige Wahrheiten offenbaren, die auch den wesentlichen Gehalt der Anthroposophie bilden.
Die Pforte der Einweihung entstand auf der Grundlage von Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, das Steiner zunächst in dramatisierter Form auf die Bühne bringen wollte als erstes Beispiel eines Mysteriendramas, das mit den Anforderungen des gegenwärtigen Zeitalters rechnet. Schon 1907, auf dem Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft, hatte Rudolf Steiner Édouard Schurés Rekonstruktion des Dramas von Eleusis auf die Bühne gebracht, später folgten Schurés Kinder des Luzifer. Das waren aber alles Rückgriffe auf die Vergangenheit, die ganz aus dem Geiste der Verstandesseelenkultur lebten, abgesehen davon, dass beide Werke höheren künstlerischen Ansprüchen kaum genügen können. Aber etwas Besseres, in dem auf künstlerische Weise geistige Wahrheiten enthüllt wurden, gab es damals nicht. So suchte Steiner nach einem geistigen Inhalt und einer künstlerischen Form, die dem Bewusstseinsseelenzeitalter gerecht werden konnte und kam dabei zunächst auf Goethes Märchen, doch gewann die Sache bald ein Eigenleben. In der ersten Niederschrift sind die Namen der handelnden Personen noch aus Goethes Märchen genommen, doch indem die Märchenfiguren nach und nach zu eigenständigen Bühnenpersönlichkeiten aus Fleisch und Blut heranwuchsen, mussten auch andere Namen gefunden werden, die ihren geistigen Charakter besser unterstreichen sollten. Indem sich auch die Handlung immer mehr zu metamorphosieren begann, entstand schließlich ein völlig eigenständiges Drama, bei dem aber der Bezug zu Goethes Märchen immer wieder spürbar wird.
Link: Die Pforte der Einweihung - Textheft als PDF
Personen
DES VORSPIELES UND ZWISCHENSPIELES
Sophia | Margherita Ehart | |
Estella | Nikolina | |
Zwei Kinder |
DES MYSTERIUMS
Johannes Thomasius | Wolfgang Peter | ||
Maria | Margherita Ehart | ||
Benedictus | Willi Grass | ||
Theodosius, dessen Urbild im Verlaufe als Geist der Liebe sich offenbart | |||
Romanus, dessen Urbild im Verlaufe als Geist der Tatkraft sich offenbart | Wolfgang Schaffer | ||
Retardus, nur als Geist wirksam | Peter Ponta | ||
German, dessen Urbild im Verlaufe als Geist des Erdgehirns sich offenbart | |||
Philia | Freundinnen Marias, deren Urbilder | Rosemarie Guttmann | |
Astrid | im Verlaufe als Geister von | Elisabeth Wagner | |
Luna | Marias Seelenkräften sich offenbaren | Nikolina | |
Helena, deren Urbild im Verlaufe als Lucifer sich offenbart | Christine Kowol | ||
Professor Capesius | Ernst Horvath | ||
Doktor Strader | Florian Dubois | ||
Felix Balde, der sich als ein Träger des Naturgeistes offenbart | Franz Dietl | ||
Frau Balde | Helga Freihsl | ||
Die andre Maria, deren Urbild im Verlaufe sich als Seele der Liebe offenbart | Brigitta Schadeck | ||
Theodora, Seherin | Christine Kowol | ||
Ahriman, nur als Seele wirksam gedacht | Thomas Wünsch | ||
Der Geist der Elemente, nur als Geist wirksam gedacht | Thomas Wünsch | ||
Ein Kind, dessen Urbild im Verlaufe als junge Seele sich offenbart | |||
Regie | Wolfgang Peter |
„Der Eindruck des Lebendigen, des Realistischen geht gerade hervor, wenn man der Bühne ansieht, dass ihr Bild aus in lebendige Phantasie umgegossenen Träumen entstanden ist.“ (Lit.:GA 282, S. 317) |
Inhalt
- Vorspiel - Ein Zimmer der Sophia
- Erstes Bild - Ein Zimmer in rosenrotem Grundton
- Zweites Bild - Gegend im Freien
- Drittes Bild - Ein Meditationszimmer
- Viertes Bild - Die Seelenwelt
- Fünftes Bild - Ein unterirdischer Felsentempel
- Sechstes Bild - Die Seelenwelt
- Siebentes Bild - Das Gebiet des Geistes
- Zwischenspiel - Ein Zimmer der Sophia
- Achtes Bild - Ein Zimmer in rosenrotem Grundton
- Neuntes Bild - Gegend im Freien
- Zehntes Bild - Ein Meditationszimmer
- Elftes Bild - Der Sonnentempel
Kurzinhalt
Im Mittelpunkt der Handlung stehen der Maler Johannes Thomasius und die große Seele Maria, die gemeinsam unter dem helfenden Beistand ihres Geisteslehrers Benedictus den Einweihungsweg beschreiten, auf dem sie den Widersachermächten Luzifer und Ahriman begegnen und durch schmerzvolle Prüfungen allmählich zur Selbsterkenntnis reifen. Sie treffen dabei unter anderem den gebildeten, idealistisch gesinnten Professor Capesius, der erquickende Seelenkräfte aus den wunderbaren Märchen schöpft, die Felicia Balde zu erzählen weiß, und den von schweren Zweifeln erschütterten, aber dennoch lebenspraktischen Forscher Dr. Strader. In der Seelenwelt begegnen Strader und Capesius dem Geist der Elemente. Felix Balde und die andre Maria schöpfen noch ganz aus unbewussten, naturhaften Geisteskräften. Tief berührt wird Strader von den Visionen der Seherin Theodora. Eine wichtige Rolle spielen auch Astrid, Philia und Luna, die Seelenschwestern der Maria, und Theodosius und Romanus, die Tempelbrüder des Benedictus. German erweist sich als der spöttische Geist des Erdgehirns und Retardus, der gemischte König aus Goethes Märchen, versucht die Entwicklung zurückzuhalten.
Vorspiel
Ein Zimmer der Sophia
Das Vorspiel beginnt mit einem einfachen Kinderlied, das allerdings bei aller Schlichtheit schon die Gesinnung andeutet, aus der das Geschehen des eigentlich dramatischen Teils aufgefasst werden soll, nämlich mit einer gewissen vorurteilslosen kindlichen, nicht durch den Intellekt getrübten Offenheit:
Der Sonne Licht durchflutet |
Das Vorspiel führt nun weiter zu einem Streitgespräch zwischen Estella und Sophia. Sophia ist, wie schon der Name andeutet, die Verfechterin der Geisteswissenschaft, der Anthroposophie, in der Estella aber nur ein müßiges Gedankenspiel sehen kann, das den Menschen von der eigentlichen Realität, von den wahren Problemen des Lebens ablenkt. Auch würden viele Vertreter der Geisteswissenschaft aus ihrem Dünkel hochmütig auf die anderen Menschen herabblicken und sich für etwas Besseres halten. Ganz verfehlt erscheint es Estella, wenn man die weltfremde Geistesschau zur Grundlage des künstlerischen Schaffens machen wollte und sieht lädt Sophia ein, mit ihr gemeinsam eine Aufführung der „Enterbten der Seele und des Leibes“ zu besuchen, wo die wahren Lebensprobleme in naturalistisch-dramatischer Form gezeigt würden. Doch Sophia lehnt ab, denn sie will am selben Abend ein Theaterstück, offenbar ein Mysteriendrama, sehen, das ihrer geistigen Auffassung entspricht. Es kommt zu keiner Verständigung zwischen den beiden.
Rudolf Steiner reflektiert selbstkritisch in dem Vorspiel seinen eigenen künstlerischen Ansatz und das ganze anthroposophische Streben überhaupt. Er wirft Einwände auf, die man machen kann, gibt Gegenargumente, wertet aber nicht nach der einen oder anderen Richtung, sondern überlässt dem Publikum die Entscheidung, welcher Argumentation es folgen will.