Die vier Mysteriendramen: Unterschied zwischen den Versionen

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1907, auf dem [[a:Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft|Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft]], hatte Rudolf Steiner [[a:Eduard Schuré|Eduard Schuré]]s Rekonstruktion des „Dramas von Eleusis“ auf die Bühne gebracht, später folgten Schurés „Kinder des Luzifer“. Das waren aber alles Rückgriffe auf die Vergangenheit, die ganz aus dem Geiste der Verstandesseelenkultur lebten, abgesehen davon, dass beide Werke höheren künstlerischen Ansprüchen kaum genügen können. Aber etwas Besseres, in dem auf künstlerische Weise geistige Wahrheiten enthüllt wurden, gab es damals nicht. So suchte Steiner nach einem geistigen Inhalt und einer künstlerischen Form, die dem Bewusstseinsseelenzeitalter gerecht werden konnte und kam dabei zunächst auf Goethes „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“, das er in dramatisierter Form auf die Bühne bringen wollte, doch gewann die Sache bald ein Eigenleben. In der ersten Niederschrift sind die Namen der handelnden Personen noch aus Goethes Märchen genommen, doch indem die Märchenfiguren nach und nach zu eigenständigen Bühnenpersönlichkeiten aus Fleisch und Blut heranwuchsen, mussten auch andere Namen gefunden werden, die ihren geistigen Charakter besser unterstreichen sollten. Indem sich auch die Handlung immer mehr zu metamorphosieren begann, entstand schließlich ein völlig eigenständiges Drama, bei dem aber der Bezug zu Goethes Märchen immer wieder spürbar wird.
1907, auf dem [[a:Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft|Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft]], hatte Rudolf Steiner [[a:Eduard Schuré|Eduard Schuré]]s Rekonstruktion des „Dramas von Eleusis“ auf die Bühne gebracht, später folgten Schurés „Kinder des Luzifer“. Das waren aber alles Rückgriffe auf die Vergangenheit, die ganz aus dem Geiste der Verstandesseelenkultur lebten, abgesehen davon, dass beide Werke höheren künstlerischen Ansprüchen kaum genügen können. Aber etwas Besseres, in dem auf künstlerische Weise geistige Wahrheiten enthüllt wurden, gab es damals nicht. So suchte Steiner nach einem geistigen Inhalt und einer künstlerischen Form, die dem Bewusstseinsseelenzeitalter gerecht werden konnte und kam dabei zunächst auf Goethes „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“, das er in dramatisierter Form auf die Bühne bringen wollte, doch gewann die Sache bald ein Eigenleben. In der ersten Niederschrift sind die Namen der handelnden Personen noch aus Goethes Märchen genommen, doch indem die Märchenfiguren nach und nach zu eigenständigen Bühnenpersönlichkeiten aus Fleisch und Blut heranwuchsen, mussten auch andere Namen gefunden werden, die ihren geistigen Charakter besser unterstreichen sollten. Indem sich auch die Handlung immer mehr zu metamorphosieren begann, entstand schließlich ein völlig eigenständiges Drama, bei dem aber der Bezug zu Goethes Märchen immer wieder spürbar wird.


Link: Die Mysteriendramen Rudolf Steiners (PDF)
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Version vom 5. Juli 2023, 07:29 Uhr

„Was diese Auserwählten erleben konnten und was die Eingeweihten auch heute noch erleben können, war für die andern, in den kleinen Mysterien, ein Ideal, das sie alle zu erreichen hoffen durften, der eine bald, der andere später.“ (Lit.:GA 97, S. 79)

Johannes, Maria und Benedictus (Die Pforte der Einweihung, 7. Bild)

Die Mysteriendramen Rudolf Steiners sind der Versuch, den Einweihungsweg einzelner, konkreter individueller Menschen in künstlerischer Form dramatisch darzustellen. Vier Mysteriendramen hat Rudolf Steiner vollendet, ein fünftes, das laut Marie Steiner eine Rückschau auf Ereignisse an der kastalischen Quelle in Delphi bringen sollte, war schon in groben Zügen umrissen, doch kam es durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr zur weiteren Ausarbeitung des Entwurfs. Vermutlich sollten insgesamt sieben (vereinzelt wird sogar von zwölf gesprochen) Dramen entstehen, in denen auch immer wieder Rückblicke in frühere Inkarnationen der handelnden Personen gegeben worden wären, wodurch sich schließlich ein vollständiges Panorama der geistigen Entwicklung der Menschheit ergeben hätte. (Lit.: Hammacher 1995, S 112)

Die Mysteriendramen sind, wie Steiner selbst immer wieder betonte, nichts Vollendetes, sie sind ein keimhafter Anfang, ein Neubeginn – ein Anfang in künstlerisch-dramatischer Hinsicht einerseits, in dem ein kraftvoller Impuls zur Neubelebung der Theaterwelt überhaupt liegt, anderseits ist in ihnen zugleich ein zukunftsweisender Weg aufgezeigt, geistige Wahrheiten in sehr lebendiger, konkreter Form an die Menschen heranzubringen.

„Das Drama der Reinkarnation ist das neue Drama, alles andere sind Nachzügler, gabrielische Nachzügler. Aber das wirklich in die Zukunft gehende Drama der Moderne, das michaelische Drama, muss den Menschen im Durchgang durch die Inkarnation erlebbar machen. Eigentlich müssten, gleichsam um die Mysteriendramen Rudolf Steiners herum tausend Dramen geschrieben werden, auch Komödien. So dass dieser Gedanke und das entsprechende Lebensgefühl in der Begegnung mit dem anderen Menschen Selbstverständlichkeiten werden.“ (Lit.: Gespräch mit W. Hammacher, in Der Europäer Jg. 8 / Nr. 12 / Oktober 2004, S 10f)

1907, auf dem Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft, hatte Rudolf Steiner Eduard Schurés Rekonstruktion des „Dramas von Eleusis“ auf die Bühne gebracht, später folgten Schurés „Kinder des Luzifer“. Das waren aber alles Rückgriffe auf die Vergangenheit, die ganz aus dem Geiste der Verstandesseelenkultur lebten, abgesehen davon, dass beide Werke höheren künstlerischen Ansprüchen kaum genügen können. Aber etwas Besseres, in dem auf künstlerische Weise geistige Wahrheiten enthüllt wurden, gab es damals nicht. So suchte Steiner nach einem geistigen Inhalt und einer künstlerischen Form, die dem Bewusstseinsseelenzeitalter gerecht werden konnte und kam dabei zunächst auf Goethes „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“, das er in dramatisierter Form auf die Bühne bringen wollte, doch gewann die Sache bald ein Eigenleben. In der ersten Niederschrift sind die Namen der handelnden Personen noch aus Goethes Märchen genommen, doch indem die Märchenfiguren nach und nach zu eigenständigen Bühnenpersönlichkeiten aus Fleisch und Blut heranwuchsen, mussten auch andere Namen gefunden werden, die ihren geistigen Charakter besser unterstreichen sollten. Indem sich auch die Handlung immer mehr zu metamorphosieren begann, entstand schließlich ein völlig eigenständiges Drama, bei dem aber der Bezug zu Goethes Märchen immer wieder spürbar wird.

Marie Steiner als Maria und Mieta Waller als Johannes Thomasius bei der Uraufführung der "Pforte der Einweihung" 1910 (8. Bild)

Nachstehend sind auf der linken Seite die Namen aus der ersten Niederschrift angeben, die sich teilweise noch direkt auf Goethes Märchen beziehen, und rechts die Namen aus dem fertigen Drama:

Goethes Märchen Mysteriendramen
Lilie Maria
Mensch Johannes Thomasius
1. Irrlicht Capesius
2. Irrlicht Strader
König des Willens Romanus (eherner König)
Der Mann mit der Lampe Felix Balde
König des Gefühls Theodosius (silberner König)
Schlange Die andre Maria
Die Frau des Mannes mit der Lampe Felicia Balde
1. Mädchen Philia
2. Mädchen Astrid
3. Mädchen Luna
Riese German (goldener König)
Kanarienvogel Kind
Ferner:
Hierophant Benedictus
Makrokosmos Der Geist der Elemente
Mann Estella
Frau Sophia
Retardus (gemischter König)

Theodora, die Seherin, die in der ersten Niederschrift nicht angeführt wird, entspricht dem Habicht aus Goethes Märchen. Helena, deren Urbild sich im Drama später als Luzifer erweisen wird, hat kein Vorbild in Goethes Märchen und ist eine ganz eigenständige Schöpfung Steiners.

Die vier vollendeten Dramen Rudolf Steiners sind:

  • Die Pforte der Einweihung (1910) - Uraufführung am 15. August 1910 im Schauspielhaus München
  • Die Prüfung der Seele (1911) - Uraufführung am 17. August 1911 im Gärtnerplatz-Theater in München
  • Der Hüter der Schwelle (1912) - Uraufführung am 24. August 1912 im Gärtnerplatz-Theater in München
  • Der Seelen Erwachen (1913) - Uraufführung am 22. August 1913 im Volkstheater in München

Die Vorstellungen begannen jeweils um 10 Uhr vormittags und dauerten, unterbrochen durch eine einstündige Mittagspause, bis etwa 18 Uhr. Die Zuschauer stammten aus vielerlei Ländern und man schätzt, dass 1910 und 1911 je ungefähr 800 und 1912 und 1913 etwa 1000 Besucher gekommen waren.

In den Vorbemerkungen zu GA 44 (Entwürfe, Fragmente und Paralipomena zu den vier Mysteriendramen) heißt es:

„Die «Vier Mysteriendramen» wurden erstmals in München anläßlich der Sommerfestveranstaltungen 1910, 1911, 1912 und 1913 als geschlossene Vorstellungen für die Anthroposophische Gesellschaft aufgeführt. Die Darsteller waren sämtlich Mitglieder der Gesellschaft, einzelne Berufsschauspieler. Rudolf Steiner inszenierte die Dramen selbst. Die Textniederschrift erfolgte jeweils vor Beginn oder auch während der Probenarbeit. Ein bereits angekündigtes fünftes Drama konnte im Jahre 1914 infolge des Kriegsausbruches nicht mehr aufgeführt werden. Später sollten dann die Dramen im inzwischen in Dornach errichteten Goetheanumbau im Sommer 1923 in Szene gesetzt werden. Der Brand des Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23 machte dies unmöglich. Nach dem Tode von Rudolf Steiner studierte Marie Steiner, die in München die weibliche Hauptrolle der Maria verkörpert hatte, mit dem von ihr ausgebildeten Schauspiel-Ensemble im zweiten Goetheanum die Dramen ein, welche nun seit Jahrzehnten dort öffentlich zur Aufführung gelangen.“ (Lit.:GA 44, S. 8)

Zur den geistigen Grundlagen der Dramenentwürfen gibt Marie Steiner wichtige Hinweise, wenn sie im Frühjahr 1946 folgendes schreibt:

„Unter den Notizbüchern Rudolf Steiners gibt es solche, in denen meditative Inhalte festgehalten sind, die wie Vorentwürfe wirken für das, was im Drama später umgegossen wurde zu Dialogen oder bewegten Szenen. Die esoterischen Motive wurden in die Gesamtkomposition eingegliedert; es wurde ihnen die künstlerische Form gegeben, die dem Aufbau des Ganzen entsprach.“ (Lit.:GA 44, S. 8)

Den geradezu revolutionären geistigen und künstlerischen Gehalt von Steiners Mysteriendramen unterstrich Erich Hofacker, wenn er 1934 schrieb:

„In jenen Jahren kurz vor dem Weltkrieg, da sich die erste Sturzwelle des Expressionismus über Deutschland ergoss, wurden auch die vier Mysteriendramen Rudolf Steiners in München vor einem Kreis von Auserwählten zum ersten Mal aufgeführt. Fremdartig, lebensfern, ja verstiegen mussten, bei oberflächlicher Betrachtung, diese "Seelenvorgänge in szenischen Bildern" dem Zuschauer erscheinen, der das herkömmliche Drama naturalistischer Prägung gewohnt war. Selbst die Führer des expressionistischen Dramas mit ihrer eben damals mächtig aufwallenden Sehnsucht nach dem Göttlichen im Menschen, mit ihrer Verkündigung des "neuen Menschen," wie sie bereits wenige Monate nach der Aufführung des vierten Mysterienspiels von Steiner in Kaisers Bürger von Calais bedeutsam erklang – selbst diese Propheten eines neuen Menschentums hätten wohl beim Anhören der Mysteriendramen kaum erkannt, dass hier eine geistige Wandlung des Menschen geschildert wurde, die in Nöten und Beseligungen, in Schrecken und Erhabenheit ihre eigenen kühnsten Ahnungen überragte.“ (Lit.:S 74.pdf GA Hofacker, S 74)